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old Joe
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Bei nicht wenigen Synonymfunden juckt es mich in den Fingern, an ihnen kenntlich zu machen, dass sie noch nicht allzu lange im Umlauf sind. Denn es könnte sein, dass sie auch recht bald wieder in der Versenkung verschwinden, dann stehen sie aber noch da und niemand weiß, wie sie in OT gelandet sind ('alles gut'?). Oder sie sind zeitgebunden und haben sozusagen ein eingebautes latentes Verfallsdatum mit schwebender Fälligkeit ('Brexit'). Dem einen oder anderen mag auch noch nicht aufgefallen sein, dass man in bestimmten Kreisen oder Kontexten jetzt so redet (z.B. jugendsprachliches 'Opfer', schon in vorgezogener Abklingphase bzw. 'mit einem Fuß' in die Gemeinsprache eingegangen).
Problematisch bei der Kennzeichnung als Neologismus wäre, dass sich fast nie bestimmen lässt, ab wann eine neue Redeweise oder ein neues Wort da ist. Heute zum ersten Mal gehört: 'resting bitch face'. Das ist so neu, dass es nicht mal eine deutsche Übersetzung gibt, auch kein Synonym. Und wohl auch keinen Bedarf hier. Aber wie gesagt, es ist recht neu, war im letzten Jahr in größerem Rahmen aufgekommen, ist also nicht mehr brühwarm, alle werden es nicht kennen. Vergleichsweise neu wäre auch das verbreitete 'stemmen' für 'schaffen', das aber bereits wieder auf dem Rückzug zu sein scheint. Oder 'vintage' für 'gehört eigentlich auf den Sperrmüll'. Sollte es OT in 20 Jahren noch geben, wäre die Info nützlich, wann eine Formulierung aufgekommen war. Nur stelle ich immer wieder fest, dass ich mit meinen Beobachtungen falsch liege: Etwas, das mir in der letzten Zeit aufgefallen ist, scheint es dann doch bei genauerer Nachprüfung schon laaange zu geben. Vielleicht ist da nur der verstärkte Gebrauch neu und nicht die Redeweise an sich.
Wie auch immer, ich fände eine Kennzeichnung, wie ungenau auch immer sie ausfiele, sinnvoll. Im Einzelfall kann es über das Neuheitslevel verschiedene Auffassungen geben, aber man wird sich hier sowieso nicht in allen Dingen einigen können, dazu ist das Feld, das hier bearbeitet wird, zu umfangreich.
Abschließend nenne ich mal ein paar Kandidaten für diesen Tagg: gendern, genderkorrekt, ergoogeln, spoilern, liken (laiken), dissen, tweeten, twittern, taggen, Quengelzone, Gentrifizierung?, Prequel?, zeitkritisch, zeitnah, Mockumentary, casten, daten, wie jetzt!? ...
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Daniel Naber
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Bei den nicht ganz so umgangssprachlichen Wörtern hilft der Google ngram Viewer:
https://books.google.com/ngrams/graph?content=zeitnah&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Czeitnah%3B%2Cc0
Bei diesem Beispiel bestätigt er auch gleich, dass es Wörter teilweise schon lange gibt, sie dann aber populär werden. Die genannten Kandidaten empfinde ich jedenfalls auch als Neologismen, wobei ich bei denen mit Fragezeichen auch nicht sicher bin.
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old Joe
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Der Ngram Viewer von Google legt meines Wissens ein Korpus aus Büchern zugrunde. In modernen Romanen ist viel Umgangssprache enthalten, wenn auch leicht stilisiert. Viele neue Redeweisen kommen ja durch die Umgangssprache auf. Dieses 'Wie jetzt!?' ist mit ziemlicher Sicherheit nicht viel älter als 15 Jahre, ich schätze ca. 10 Jahre, da hatte ich mit jüngeren Herrschaften zu tun, die diese Art von Jugendsprache inklusive 'wie geil ist das denn!?' draufhatten. 10 Jahre sind für ein sprachliches Element immer noch relativ jung, bis es dann in irgendeinem Buch erscheint, vergehen einige Jahre. Nur kann der Ngram Viewer hier nicht helfen, weil er mit den Satzzeichen ebenso wie die Google-Suche nicht umgehen kann, und 'wie jetzt' nicht als irritierter Ausruf sondern als Satzelement kann ja in allen möglichen Kontexten vorkommen.
Was schön und wünschbar wäre, nämlich eine Jahreszahl 'ab wann', können wir leider nicht leisten. Was jetzt Neologismus ist, ist es in 20 Jahren nicht mehr, d.h. irgendwann müsste man bei den Alt-Neologismen den Tagg löschen, oder wie gesagt man müsste immer dazuschreiben, wann eine Formulierung größere Verbreitung gefunden hat. Einen Sprach-Google mit entsprechendem Korpus gibt es leider nicht, das einzige, was ich kenne und was in der Hinsicht nutzbar wäre, wäre DESD, da kann man sich wirklich alle Treffer quasi ab Gründung der BRD aus 'Die Zeit' und dem 'Tagesspiegel' (Berlin) anzeigen lassen. das hat aber mit der gesprochenen Sprache nix zu tun. Und selbst für diese - recht bunte und kreative - Mediensprache gilt: Solange es keine Volltextsuche über viele Presseerzeugnisse hinweg gibt, wird man da weiter auf dem Schlauch stehen.
Auch die normale Google-Suche arbeitet hochselektiv. Man könnte ja denken, gut, jetzt haben wir wenigstens die Blogs und die Leserkommentare und Foren dabei, die sind ja oft sehr umgangssprachennah, aber es kann z.B. sein, dass ich für ein Einzelwort mehr anzeigbare Treffer geliefert bekomme als für dasselbe Wort mit einem anderen Wort daneben, was ja rein mathematisch und mengentheoretisch nicht sein kann. Das heißt, das Google bei seinen Treffern alles mögliche rausschmeißt, nur weiß man nicht, was.
Was immerhin schön ist, ist der Punkt, dass man bei Dialekt- und Regionalwörtern immerhin Treffer geliefert bekommt, mit Kontexten.
Ist eigentlich schade, dass diese Gebirge von Text für Sprachinteressierte nur sehr oberflächlich erschließbar sind. Aber das Internet ist hat nicht dafür gedacht, es sollen Meinungen vertreten und Produkte an den Mann gebracht werden. Und es soll Bezahl-Content vor irregulärer Verbreitung im Internet geschützt werden. Immerhin sind wir jetzt schon weiter als vor 20 Jahren, ein paar Werkzeuge gibt es schon, die wir sinnvoll einsetzen können, und der Google Books Ngram Viewer gehört dazu. Was das von Dir zur Demonstration gewählte 'zeitnah' angeht, hatte ich hier im Forum ja am 1.7.16 dazu eine Anmerkung gemacht.
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